So war es:
Vorneweg will ich sagen, dass mit der Akkreditierung alles reibungslos geklappt hat. Ging sehr formlos vonstatten! Da habe ich mir gleich die Frage gestellt, wie es mit dem Rest der Organisation aussieht, zumal ich schon öfters zu Ohren bekommen habe: "Ach, hier in Mexiko werden Bestimmungen eher lose eingehalten". Meine leisen Zweifel, ob es nicht etwas chaotisch werden könnte, sind sofort verflogen, nachdem ich das Gelände betreten habe. Alle Crew-Mitglieder (von denen leider nur zwei englisch sprachen) waren auf Zack und haben dafür gesorgt, dass Einlass und Co. reibungslos verläuft. Ist auch nötig, bei den 80.000 Leuten, die das ehemalige Baseballstadium "Foro Sol" an diesem Wochenende besiedelt haben.
Das Gelände selbst war eher zweckmäßig gestaltet, ähnlich wie bei Rock am Ring oder NOS alive. Dennoch gab hier und da einige nette Details, zum Beispiel einen Chill-Out-Park, in dem auch Aktivitäten für Kinder angeboten wurden. Super angenehm für ein Festival dieser Größe war, dass im Infield so gut wie keine Werbung wahrzunehmen war. Die Bühnenbanner sind liebevoll und bunt gestaltet (und haben mich ein wenig an Tomorrowland und Konsorten erinnert) und zwischen den Bands wurden immer Gigs der Konzerte der Nachbarbühnen übertragen. Toll!
Bühnen gab es übrigens fünf. Nach Größen sortiert:
Die große Mainstage...
Die zweitgrößte Stage, schön mit Rasen und Sand anstelle von Beton (aber auch entsprechend Staub, wenn ordentlich getanzt wird)...
Die drittgrößte Stage am anderen Ende des Geländes, von der ich kein Foto gemacht habe...
...und zwei Zeltbühnen.
Soundclash gab es gar nicht, da das Gelände wirklich groß war. Selbst, wenn man im Stechschritt unterwegs ist, brauchte man gut und gerne 20 Minuten vom Einen Ende an das andere.
Das musikalische Programm war absolut bunt durchmischt. Neben den internationalen Headlinern Justice und Prophets of Rage, die ich hier wohl nicht näher vorstellen muss, gab es tagsüber viel viel Trompeten, klassischen Salsa, Progressive Metal, Indie-Rock, Electropop und so weiter. So gut wie alles also mit Instrumenten, rein elektronische Acts waren fast nicht vorhanden. Gemäß des Namens kam eine Vielzahl der Bands aus Argentinien, Chile, aber auch Spanien - und natürlich Mexiko.
Was stand auf dem Programm?
Samstag:
Leider habe ich total das mexikanische Metro-System unterschätzt - es ist die Hölle! - und bin etwas später gekommen als erwartet. Den Rock'n'Roll der japanischen All-Girl-Band
The 5.6.7.8.'s habe ich deshalb nur am Rande mitbekommen. Dafür konnte ich mich bei
Doctor Krápula schön warmtanzen. Nachmittags-Skapunk fetzt halt immer.
Eine meiner größten Entdeckungen im Line Up,
XIXA, spielten pünktlich zur Dämmerung psychedelisch angehauchten und extrem atmosphärischen Wüstenrock. Sie kommen in wenigen Tagen nach Deutschland, sollte man sich anschauen!
(Anspieltipp)
Caligaris war so eine typische Ska-Band ohne Ecken und Kanten. Normalerweise mag solch simple Geschichten, doch das war selbst mir zu albern. Irgendetwas müssen sie aber richtig machen mit ihrer clownesken Darbietung auf der Bühne - sie haben locker 20.000 Leute vor die Mainstage gezogen.
Los Fabulosos Cadillacs aus Argentinien kannte ich nur vom ersten Album, das jazzigen Rock mit viel Bläsern präsentiert. Im Laufe der Jahre wurden sie radiotauglicher. Mittlerweile sind sie neben Panteón Rócoco eine der ganz großen Nummern in Mexiko. Hat mir persönlich nichts gegeben, ein recht flacher Auftritt.
Danach schlossen die
Prophets of Rage den Tag ab. Zu dem Zeitpunkt waren schon viele Besucher auf dem Nachhauseweg, sodass die Prophets eher als Late Night Special Act zu betrachten waren. Haben super die Energie von RATM, Cypress Hill und Public Enemy herübergebracht und Tom Morello ist halt schon ne coole Sau. Alle um mich herum jauchzten vor Freude, endlich mal die Songs der rebellischen Jugend live zu hören. Fantastische Stimmung!
Sonntag:
Der Timetable verriet schon im Voraus, dass es einiges mehr zu sehen geben würde als am Samstag. Los ging es bereits um 2 mit einer absolut fantastischen Punk/Ska-Band, die dem Publikum mit toller Bühnenpräsenz eingeheizt hat.
La Pegatina aus Spanien waren eine weitere, ganz große Entdeckung des Festivals, die ich sicher nicht zum letzten mal gesehen haben werde! Kickstart in den Tag!
(Anspieltipp)
Danach folgten
Agora. Mexikanischer Prog Metal. Keine Ahnung wieso, aber wir sind das ganze Konzert über geblieben. Wohl nur, weil die Band aus ein paar witzigen Rampensäuen besteht. Oh, vor Agora sind wir noch kurzfristig in den Gig von Orkesta Mendoza gestolpert. Cumbia ist es wohl, was die spielen. War sehr launig und klang, als ob Calexico zu viel Kaffee getrunken hätten.
(Anspieltipp)
Etwas cheesy ging es weiter mit
La Sonora Santanera, die - bereits seit über 60 Jahren! - eine Mixtur aus Cha Cha, Bolero und Mambo spielen und an diesem Nachmittag für eine ungewohnte Tanz-Atmosphäre im Publikum sorgten. Und das klingt dann
so. War für eine halbe Stunde ganz nett und mal etwas Anderes als man sonst gewohnt ist. Gleich danach folgten zwei großartige Sängerinnen: Zum einen
Mon Laferte, die teils schwermütige, bluesige Songs singt und dabei eine Stimmgewalt an den Tag legt, die selbst Beth Gibbons in Ehrfurcht erstarren lässt. Schon beim
ersten Song (Youtube-Link) bin ich vor Begeisterung fast aus den Latschen gekippt. Klasse Frau! Bitte unbedingt nach Deutschland kommen!
Julieta Venegas im Anschluss war musikalisch eher das Gegenteil: Luftig leichter Pop, der an Feist erinnert. Allerdings konnte ich nicht alles sehen, da ich unbedingt meine Jugendhelden
Rancid sehen wollte. Ein Fehler. Die Band fing 20 Minuten zu spät an und haben halt nur ihre Songs runtergespielt. War am Ende reichlich unspektakulär. Naja, abgehakt.
Dann waren die beiden Headliner an der Reihe:
Zoé , ein dicker Fisch in Mexiko, spielen schon seit einigen Jahrzehnten Alternative Rock, mit dem ich jedoch nichts wirklich anfangen konnte. Es folgten:
Justice, auf die ich mich ewig gefreut habe. Wie für Elektro-Acts üblich, gab es eine super aufwändige Licht-Show, gemeinsam mit einem Set aus den besten Songs der drei Alben. Leider wollte der Funke nicht ganz überspringen. Nachdem ich an diesem Tag so viel Konzerte mit Herz gesehen habe, kam mir der Justice-Gig sehr stumpf und seelenlos vor. Hat irgendwie nicht in das Setting gepasst. Auf dem Melt! habe ich es um Welten besser empfunden, trotzdem ging die Show natürlich gut ins Bein! Selbst nach 12 Stunden tanzen.
Die Stimmung war übrigens im Allgemeinen große Klasse an beiden Tagen. Während europäische Festivals eher von Sauftrupps oder zumindest größeren Freundeskreisen belagert werden, sah man hier bemerkenswert viele Pärchen. Selbst bei den roheren Bands fand man überall glückliche Gesichter. So soll es sein!
Fazit: Wer seinen Musikhorizont ein bisschen erweitern möchte und offen für ausgefallenere Live-Darbietungen ist, sollte sich Vive Latino genauer anschauen. Mit einer bunten Mischung aus allen Teilen des Kontinents macht es seinem Namen alle Ehre. Fans von klassischen Rock- oder Elektrofestivals würden jedoch wenig zum Pogen oder Raven finden. Dafür ist es jedoch verdammt friedvoll, für seine Größe kein bisschen chaotisch und gespickt mit spannenden Acts. Da könnten sich einige europäische Festivals ruhig eine Scheibe abschneiden. Nur über die Bier- und Essenspreise hüllen wir lieber den Mantel des Schweigens. Denn da kann das Vive Latino locker mit den hiesigen Großveranstaltungen mithalten.
Ein paar weitere Fotos folgen, wenn ich meinen Blogeintrag fertiggestellt habe
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tl;dr? checkt mal xixa, mon laferte, la pegatina auf youtube aus.