Göppel hat geschrieben: ↑Di 26. Dez 2017, 05:53
Was ist denn unsozial an der Bürgerversicherung?
Das Gegenteil wäre die Frage, was ist denn sozialer? Das würde weniger Text ergeben.
An sich ist eine Bürgerversicherung nicht per se unsozial. Das Modell der SPD, welches nun gerade durch die Medien geistert und immer wieder zu finden ist, ist eine Katastrophe für viele, eine Verbesserung für wenige. Die Frage ist doch, was das soll?
Klar, man will die gutverdienenden Angestellten (>60.000 € Einkommen) in der GKV haben. Doch machen diese nur einen Minianteil bei den PKV-Versicherten aus. Der Rest sind überwiegend Beamte (der Großteil), deren Kinder und Selbstständige.
Vorab vielleicht ein paar nette Zahlen: Jeder PKV-Versicherte zahlt bereits um Umwege rund 130-150 € pro Jahr ins gesetzliche System ohne auch nur eine Leistung zu beziehen. Am einfachsten über den umgerechneten Steueranteil, den die GKVen kassieren, zum anderen über Nebenleistungen, die die PKV eben mitbezahlt.
10% der Leute in Deutschland sind privat versichert. Sie bezahlen aber 25% aller ambulaten Behandlungskosten. Während Ärzte in Haftung genommen werden, wenn sie zu viele gesetzlich versicherte chronisch kranke behandeln und ihr Arztbudget überschreiten, zahlen die privaten halt - somit werden Praxen erhalten.
Irgendwo hab ich mal so lax gehört, dass 3/4 aller Krankheitskosten im Leben in den letzten 3-4 Jahren des Lebens entstehen. Daher will niemand alte Menschen aufnehmen.
Aber gucken wir uns doch mal die 3 großen Gruppen der PKV-Versicherten an. Am einfachsten ist das bei den Beamten. Diese erhalten Beihilfe zu ihren Krankheitskosten - es werden 50% aller (Regel-)Behandlungskosten vom Staat übernommen, die anderen 50% müssen versichert werden und das geschieht in der Regel über eine private KV. Zum einen, weil eine private für die restlichen 50% kaum was kostet (wir reden hier von 300 € im Monat) und man für das Geld auch schon sehr gute Zusatzbehandlungen bekommt. Zudem gibt es einen Zusammenschluss von Krankenversicherern, die Beamte aufnehmen, egal wie krank sie sind (mit max. 30% Zuschlag) - hier findet also keine Risikoselektion statt. Was das ganze so attraktiv macht: die 50% in der GKV zu versichern würde 100% Beitrag kosten. Wir reden also davon, dass hier mitunter in der gesetzlichen inkl. Pflege 800 € pro Monat fällig werden. Ist es sozialer Beamte in die GKV zu ziehen? Ich weiß es nicht. Beamte sind im Schnitt älter als die Restbevölkerung und leben länger. Somit dürfte ihr einbeziehen in die GKV keinen Mehrwert für die Allgemeinheit bieten. Du hast zwar mehr Beitragszahler, aber auch mehr Leistungsempfänger, die überdurchschnittliche viele Leistungen in Anspruch nehmen (es sei denn man schlägt sowas vor, wie unten zu lesen).
Gut verdienende Angestellte: klar, hätte die GKV gern. Die meisten hat sie auch. Nur ein Teil von denen ist privat versichert. Die Entscheidung macht ja vor allem in jugnen Jahren Sinn, wenn der PKV Beitrag noch niedrig ist. Hier reden wir immer vom Höchstbeitrag von 800+ € die die GKV gern hätte. Klingt viel, gerade im Vergleich zu den 4-500 €, die ein guter privater Tarif single kostet. Allerdings sind z.b. Kinder in der GKV beitragsfrei, in der PKV kosten sie 150 € im Monat (außer bei Beamten). Hab mal zwei Kinder und das ganze relativiert sich. Diese Personengruppe trägt über ihre Steuern sowieso schon übermäßig zum sozialen Gelingen in Deutschland bei. Selbst wenn du die als Beitragszahler reinholst - diese Menschen können es sich leisten, dann einfach Zusatzversicherungen abzuschließen, die dann doch die Mehrleistungen bezahlen, die zu einer zwei-Klassen-Medizin führen.
Selbstständige. Hier seh ich persönlich das Hauptproblem. Nämlich darin, dass ich bislang noch nicht gehört habe, dass man hier sonst etwas ändern soll. Wie funktioniert das eigentlich bei den Selbstständigen in der GKV? Wenn du Künstler bist, bist du in der Künstlersozialkasse und bekommst einen Zuschuss auf die Beiträge (wie der normale Arbeitgeberanteil auch). Einmal im Jahr schätzt du deinen Einnahmen und darauf zahlst du dann (einen halben+ Zusatz) Beitrag. Klingt fair, ist es auch. Anders beim Rest: Der Grundsatz ist: Du zahlst auf deinen Gewinn den vollen Beitragssatz + Zusatzbeitrag. Nur wird dir leider unterstellt, dass du einen Mindestgewinn pro Monat erzielst, der bei etwas über 2000 € liegt. Das bedeudet, der Mindestbeitrag für Selbstständige liegt bei knapp über 400 € aktuell. Jeden Monat. Unabhängig davon, ob du wirklich Einnahmen erzielst oder nicht. Hier ist in meinen Augen das Gerechtigkeitsprinzip schon lange verloren gegangen. Gerade in den ärmeren Regionen des Ostens bricht das Regelmäßig vielen Selbstständigen das Genick, weil sie massive Beitragsschulden aufbauen. Deswegen sind halt viele in die PKV - wenn man sich erstmal nicht im high-level versichert und vielleicht jung ist, landet man irgendwo zwischen 250 und 300 € im Monat. Die Lösung wäre hier, entweder einen Zuschuss zu schaffen (gab es über den Gründerzuschuss mal, wurde dann aber quasi eingestampft, da die Vorraussetzungen dafür absurd sind) oder einfach mal den Beitrag am tatsächlichen Gewinn festmacht. Jemand der Mindestlohn erarbeitet, zahlt in der gesetzlichen als Angestellter knapp unter 300 € (inkl. Arbeitgeberanteil!), aber ein Selbstständiger wird ausgeblutet. Erzähl mir da doch bitte jemand, wie es sozialer zugehen soll, wenn das jetzt für alle gilt? Hier krankt das System an sich.
Ein gern gesprochenes Argument, was jetzt kommt, sind ide Beitragssteigerungen. Gucken wir uns die doch mal an: Bei der gesetzlichen sind wir da in den letzten 15 Jahren bei rund 3,2-3,3 % pro Jahr. Entweder über Erhöhung der Beitragsgrenze, oder über Zusatzbeiträge oder über Leistungskürzungen. Bei der PKV liegen wir sogar knapp drunter bei 3,0 - 3,1 %. Da fährt also kein System schlechter / besser.
Es wird ja gern gesagt, dass die PKV im Alter so teuer ist. Das mag in der Vergangenheit passiert sein, allerdings gibt es dort zwei Entwicklungen, die meist vergessen werden. 1. zahlt jeder PKV versichert 10% seinen Beitrages oben drauf, die angelegt werden (sogenannte Alterungsrückstellungen) und den Beitrag ab 65 reduzieren. das war früher nicht so. Außerdem gibt es das Wechselrecht in gleichwertige günstigere Tarife bei der gleichen Gesellschaft ohne Gesundheitsprüfung, von dem man gebrauch machen kann. Es mag Einzelfälle geben, die sich die Beiträge im Alter in der PKV nicht mehr leisten können. Für diese gibt es aber Maßnahmen zur Beitragssenkung und Notlagentarife. Auch die gesetzlich schleppt nicht wenige sogenannte "Nichtzahler" herum, insbesondere Einzelselbständige, die unter der Beitragslast erdrückt werden.
Was jetzt aber an den gängigen Vorschlägen, die ich so gelesen habe. Am krassesten ist, ist der Umstand, alle zukünftigen Arbeitstätigen Menschen in die GKV zu zwingen und vor allem die ganzen Menschen, die jetzt drin sind, in der PKV zu lassen. Damit blutest du die bestehenden PKVen langsam aus. Ihr müsst euch das so vorstellen, dass die jetzigen Rentner alle weiter Rente beziehen, aber keiner mehr einzahlt.
Denn die PKV lebt auch davon, dass es jüngere Menschen gibt, die nachrücken. Fehlen die, explodieren die Beiträge in der PKV. Hier will man also keinesfalls so sozial sein und die älteren Menschen (=Kostenverursacher) mit in die gesetzliche zu holen, sondern lediglich die jungen (=kostengünstigen, weil jung, gesund und zahlen noch ewig, eh sie massiv Leistungen in Anspruch nehmen) heranholen, um das explodierende Modell der KV ein paar Jahre länger zu stützen. Das ist in meinen Augen das Hauptproblem, das hier so dermaßen asozial herangegangen wird und kurzfristig eine nicht nachhaltige Systemstützung betrieben werden soll.
Was meiner Meinung nach nötig wäre bei einer funktionierenden Bürgerversicherung ist ein Modell, in dem wirklich alle einzahlen (auch Kinder, sorry), alle Leistungen beziehen können und die Beiträge insbesondere für Selbstständige fair berechnet werden.
Über Wettbewerb zwischen den Systemen, die zu Kostenreduzierungen und besserer Forschung führen, habe ich jetzt noch nicht gesprochen, weil allein das obige ausreicht meiner Meinung nach.
Ich frage mich halt immer noch, welches soziale Problem über die Bürgerversicherung gelöst werden soll? Es macht doch nur zig andere Baustellen auf. Und die paar mehr Beitragszahler, die hohe Löhne verdienen verbessern die Situation der Kassen nicht.
Eins der Probleme, die ich bei einer Bürgerversicherung sehe, ohne konkret Ahnung vom Thema Versicherungen zu haben, ist die Flexibilität beim Thema EU- übergreifender Versicherungsschutz, wenn die Versicherung dann nur Staatsbürger*innen gewährt wird.
Das ist gar kein Problem. Geht ja bislang auch schon. Und es ist ja auch bislang so, dass sich EU-Bürger in der gesetzlichen in Deutschland versichern können. Problematisch sind da eher die nicht-EU-Bürger. Ich hab das öfter in der Beratung. Die dürfen erst in die gesetzliche, wenn sie einen Aufenthaltstatus haben, den bekommen sie aber nur, wenn sie (ua.) einen Krankenversicherungsschutz nachweisen können. Hier beißt sich die Katze in den Schwanz.