Ich bin am Pfingstwochenende auf meinem zweiten
Wave-Gotik-Treffen in Leipzig gewesen.
Zunächst etwas Grundsätzliches zur Veranstaltung: Das WGT ist auf die gesamte Stadt aufgeteilt. Es gibt ein Hauptgelände am Agra-Messepark mit anliegendem Zeltplatz sowie dem Mittelalter-Dorf. Letzteres ist auch für Nicht-Festival-Besucher/innen offen. Zusätzlich finden Konzerte in vielen der Leipziger Klubs und Eventlocations statt - vom Felsenkeller über das Stadtbad bis hin zum Eventpalast am Völkerschlachtsdenkmal.
Wichtig: Das WGT ist kein reines Musikfestival, auch wenn ich ohne ein gutes Line-Up wohl nach wie vor kein Ticket kaufen würde. Das sehen viele der Besucher komplett anders. Es ist vor allem ein Szenetreff und in der Schwarzen Szene wird ja bekanntermaßen auch viel Wert auf Ästhetik, Kleidung, etc. gelegt. Das bedeutet nicht, dass da jetzt nur Instagram-Influencer/innen rumlaufen lassen (klar, gibt davon auch einige). Überdurchschnittlich viele Besucher/innen machen sich "schick" - sei es mit Kleidung, die zum Viktorianischen Picknick passt, Fetisch-Outfits (stark vertretene Subszene), Pagan and whatnot. Entsprechend spielt Shopping da auch eine wesentlich größere Rolle als auf anderen, herkömmlichen Festivals. Meine Freundin hat etwa eine Palette der neuen Kosmetik-Kollektion der Violinistin der Band The Cruxshadows,
JoHanna Moresco (sie hatten wir auf unserer Weltreise schon in einem Club in LA getroffen), gekauft.
Neben Live-Musik und anschließenden Partys sowie dem Schaulaufen (salopp gesagt) gibt es außerdem zahlreiche weitere Kulturprogramme wie Lesungen (dieses Jahr z.B.
Sebastian Fitzek), Vorträge (der aus dem TV bekannte Kriminalbiologe
Dr. Mark Benecke ist da z.B. stark verwurzelt und tritt jedes Jahr auf), allerlei Workshops, Walking-Touren und, und, und. Das alles im VVK für 135 Euro inkl. Versand und von Donnerstag bis einschließlich Montag. Schon fair, würde ich sagen. Dafür hat man die GANZ GROßEN Headliner wie beim Mera Luna (Manson, Korn, Placebo o.ä.) halt nicht.
Dass das Programm so vielseitig und das "Gelände" so weitläufig ist, führt natürlich auch zu Problemen: Sich einen intensiven Zeitplan zu machen, ist quasi nicht möglich, da man lange Touren einplanen muss. Von unserer Unterkunft - danke noch mal an Stebbie - zum Agra-Gelände dauert es mit Tram/Bus (auch im Ticket enthalten) rund 50 Minuten. Und in eine kleinere Location, in der eine bekannte Band spiel, kommt man dann auch schon mal micht rein, Reeperbahn-Festival lässt grüßen.
Da uns das in diesem Jahr etwas bewusster war als beim ersten Besuch 2018, haben wir es dementsprechend wesentlich entspannter angehen lassen. Herausgekommen sind ca. 6,5 Konzert-Besuche und ansonsten Treibenlassen und Leute-treffen. Hat auch so super viel Spaß gemacht. Meine Freundin ist ja selbst sehr Instagram-aktiv und hat da mittlerweile echt sauviele Leute kennengelernt, die man sonst "im realen Leben" auch einfach nicht so oft trifft. Sei es aus Finnland, den USA oder einfach aus Süddeutschland.
Am Donnerstag waren wir abends in der Agra tanzen, am Freitag sehr lange auf dem Viktorianischen Picknick. Dort ist es mit den Hobby-/Profifotografen/innen sicher am extremsten, da das im zentralen Clara-Zetkin-Park stattfindet und, wie das Mittelalterdorf, für alle zugänglich ist. Sich da umzusehen lohnt sich aber auch einfach. Von selbstgebauten Steampunk-Kostümen über Kleider mit riesigen Reifröcken und irre aufwendigen Makeups... das ist schon ein Wahnsinn.
Am Abend sind wir zum Eventpalast gefahren und haben dort in der Kuppelhalle
King Dude gesehen. Erstmal ist die Location wunderschön, ich glaube ansonsten finden da vor allem klassische KOnzerte und Theater statt. Aufgrund des doch heißen Wetters in Leipzig war es aber im Stehbereich vor der Bühne aber auch nur schwer auszuhalten. Ich habe letztlich nach etwa 45 Minuten abbrechen müssen, Chris sogar schon nach 30. Das Konzert an sich war aber stark. King Dude hat mal damit angefangen, sehr dunklen Singer/Songwriter-Country zu machen. Ich habe ihn, als ich ihn beim Roadburn 2015 erstmals gesehen habe, immer als satanischen Johnny Cash bezeichnet. Mittlerweile ist er mit voller Bandbesetzung unterwegs und sein 2018 erschienenes Album erinnert bisweilen doch ziemlich an Nick Cave. Also wesentlich waviger und post-punkiger als noch früher. Das gefällt mir aber mindestens genauso gut. Würde ich mir auch so definitiv wieder ansehen.
Den Samstag haben wir im Mittelalterdorf (geilstes Essen im Rahmen des Festivals) sowie der Agra, wo auch die Hauptbühne steht, verbracht. Auf der Bühne im Dorf spielten gegen 19.00 die Schweizer Folkmetaller/innen
Eluveitie. So vor rund zehn Jahren habe ich die Band noch hoch und runter gehört, aber irgendwann den Kontakt verloren. So kannte ich mit
Inis Mona auch nur den Abschlusssong. Ansonsten hat die Band ihren Sound aber im Grunde nicht wesentlich verändert. Das ist klassischer Melodic Death Metal mit Flöten, Sackpfeifen, etc. angereichert. Kann man sich auch 2019 mit ner Flasche Met oder Federweißer noch gut angucken.
Anschließend spielten die EBM-Pioniere
Nitzer Ebb, die laut Aussage eines Bekannten, schon einige Jahre nicht mehr unterwegs waren. Das hat so richtig Spaß gemacht. Minimalistischer Industrial/Electro-Geschredder, durch die Bank tanzbar. Haben im Anschluss direkt Tickets für die Show in Hamburg im November gekauft.
Am Sonntag waren wir erneut mit Freunden auf dem Agra-Gelände trinken, sind zu 7 Uhr aber zum Felsenkeller gefahren, wo
Carach Angren,
Batushka und
Cradle of Filth spielen sollten. Wie wir feststellen musste, war die Hitze in der Kuppelhalle am Freitagabend nichts im Vergleich zum Felsenkeller. Im Stehen schwitzen hat da eine neue BEdeutung bekommen. Carach Angren mit ihrem
Dimmu-Borgir-like Modern Black Metal haben wir deshalb lediglich den Schluss von weit hinten gesehen. Das klang aber gar nicht so schlecht, höre ich mir vllt noch mal näher an. Batushka gehörte in den vergangenen zwei Jahren zu unseren Lieblingsbands - auch hier mussten wir nach der Hälfte abbrechen, da es vorn nicht auszuhalten war. Schade eigentlich, aber anscheinend kann man den Klub nicht ordentlich lüften. Die neuen Songs nach der ja nicht unkontroversen Trennung des Gitarristen/Songwriters reihten sich aber perfekt in das bisherige Repertoire ein und das Bühnenbild ist ja eh stark.
Cradle habe wir uns dann geklemmt und sind dafür ins Westbad zu
Solar Fake gegangen. Das ist moderner Synthpop mit dunker männlicher Stimme -
Wolfsheim anyone? Oder eben
VNV Nation. DAs Publikum war größtenteils weiblich und entzückt von der Performance. Ich fand es ok für eine Stunde, muss ich aber auch nicht unbedingt noch mal haben.
Der Montag (das Festival findet mMn. immer an Pfingsten statt, also immer Feiertag) ist meistens der ruhigste, wo viele sich Zeit nehmen, die Produkte, die sich die Tage zuvor ausgiebig angeguckt haben, dann auch kaufen. Bis das Dorf aufgrund einer Unwetterwarnung schließen musste, hingen wir dort herum. Den Abschluss des Festivals machten in der Agra dann
Agonoize. Die kenne ich, auch wenn ich mich nie weiter in die Szene getastet habe, bis meine Freundin darin so aufgegangen ist, schon jahrelang. Gelten ja auch ein wenig als Einsteiger-Band in die Szene. Die machen harten Industrial/Electro und spritzen mit Kunstblut rum. Sie labeln sich selbst mMn. als Aggrotech. Das ist alles relativ martialisch, aber live gut tanzbar und hat zum Abschluss Spaß gemacht. Am besten war dabei allerdings die Hommage an
The Prodigy mit dem Cover von Breathe.
Die hier vorab diskutierten
Nachtmahr haben wir nicht geguckt. Ich habe mich dagegen entschieden, da ich auf deren Uniformenfetisch dann doch keine Lust hatte. Eine Freundin, die großer Fan der Band ist, meinte im Übrigen, dass der Nazivorwurf - bis auf deren Ästhetik - unbegründet sei. Sie habe schon oft mit dem Sänger geredet und der distanziere sich privat durchaus davon, hätte etwa auch die ehemalige österreichische Regierung sowie Bundeskanzler Kurz wegen dessen Bündnis mit der FPÖ scharf kritisiert. Sie selbst ist politisch recht aktiv im linken Spektrum, deshalb glaube ich ihr, dass sie da nicht aus Fangirl-Motiven einfach über irgendwas hinwegsieht.